Juli 2020: Winter is coming

Über den USA ziehen düstere Wolken auf – und damit ist nicht President Trump gemeint. Die im letzten Jahr reihenweise verschärften Abtreibungsgesetze aus Louisiana, Alabama, Georgia, Iowa, Mississippi, Kentucky und Ohio finden langsam ihren Weg zum US Supreme Court. Am Schärfsten ist wohl das absolute Abtreibungsverbot aus Alabama, nach dem Ärztinnen und Ärzten bei Vornahme einer Abtreibung eine zehn- bis 99-jährige Haftstrafe droht. Vergewaltigungsopfer sind von dem Verbot der Abtreibung ausdrücklich erfasst. Als Erstes erging nun das Urteil zum louisianischen Gesetz, das neben einer 6-Wochen-Grenze die Zulassung zum Schwangerschaftsabbruch für Ärztinnen und Ärzte außerhalb der Hauptstadt des drei Mal so großen Bundeslandes wie Niedersachsen faktisch unmöglich machte.  Es ist durch eine abweichende Meinung aus dem konservativen Flügel für verfassungswidrig erklärt worden. Die Bilder von freudigen Umarmungen und Tänzen von Aktivistinnen und Aktivisten bleiben einem im Halse stecken, wenn man sich näher mit der Begründung des Abweichlers auseinandersetzt. Denn noch 2016 hatte Chief Justice John Roberts, Jr. ein gleichlautendes Gesetz in Texas für verfassungsgemäß erklärt. Seine nunmehr abweichende Meinung begründet er mit ebendieser Entscheidung: In dem US-amerikanischen Rechtssystem gilt eine Art Kontinuitätsgrundsatz, nach dem eine Entscheidung des Supreme Courts zu einer gleichen Sache nicht in wenigen Jahren überholt werden darf. Der Grundsatz wird der Lagerbildung im Gericht gerecht und Chief Justice Roberts hielt sich ehrenwerterweise – im Gegensatz zu seinen anderen konservativen Kollegen – an diese Regel. Das louisianische Gesetz war als texanische Kopie also einfach zu schlecht gemacht. Seinen Ärger tut Chief Justice Roberts gleich kund, indem er Handlungsempfehlungen an den Gesetzgeber in Louisiana herausgab, wie ein Gesetz sich von dem texanischen Entwurf hinreichend unterscheiden und er in der Folge zustimmen könnte. Die Fronten im US-Supreme Court sind damit verteilt. Mit fünf bekennenden Abtreibungsgegnern haben die noch ausstehenden Gesetze eine gute Chance die Grundsatzentscheidung Roe vs. Wade zum Selbstbestimmungsrecht der Frau tatsächlich zu kippen.

 

Sonnenaufgang

Mit einem kurzen Blick Richtung Osten werden die US-amerikanischen Abtreibungsgegnerinnen und -gegner zufriedenstellend feststellen, dass auch Deutschland den erhobenen, moralischen Zeigefinger ganz schnell wieder einziehen sollte. Hierzulande hat die Bundesärztekammer diesen Monat nämlich verkündet, dass sich bundesweit 327 Ärztinnen und Ärzte auf die Informationsliste eingetragen haben, die vor einem Jahr anstelle der Abschaffung von §219a StGB von der Großen Koalition eingeführt worden ist. Gleichzeitig warnte sie vor Drohungen und Gewalthandlungen, die einige Personen infolge der Eintragung bereits erlitten hätten. Die Anzahl wurde als zu gering bemängelt; das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass die Versorgungslage seit 2003 um 40% gesunken ist. In einigen Regionen, wie beispielsweise im niedersächsischen Emsland, werden Wege von 80-150km bis zur nächsten Praxis veranschlagt. Das führte bei der Grünen Jugend zu dem Vorstoß, jede Neueinstellung in einem Uni-Klinikum an die Bereitschaft Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen zu knüpfen. Unter Ministerpräsident Kretschmann wird dieser Vorschlag nun ernsthaft geprüft.

Was ist also zu tun, wenn man das Abtreibungsrecht als Selbstbestimmungsrecht der Frau begreift und ihm zur faktischen Umsetzbarkeit verhelfen will, ohne die Berufs- und Gewissensfreiheit der Ärzteschaft einzuschränken? Die schlechte Versorgungslage wird einerseits mit der begründeten Angst vor Drohungen und andererseits mit einem geringen Interesse der medizinischen Nachfolgegeneration erklärt. Wer in den 70er Jahren die prekäre Versorgungslage und die hohen gesundheitlichen Risiken miterlebt hat, die Folge eines Abtreibungsverbots sind, hat in den 90er Jahren eher die politische Notwendigkeit gesehen einen Beitrag zur Umsetzbarkeit der eingeführten Fristenlösung zu leisten. Tatsächlich sind viele der 327 Personen auf der Liste kurz vor dem Renteneintritt. Helfen kann also eine Sensibilisierung im Studium über die schwerwiegenden gesundheitlichen Konsequenzen einer Abwesenheit von zugelassenen Ärztinnen und Ärzten sowie eine öffentliche Debatte, die die Ärzteschaft ab den 68er Jahren politisiert hat. Geprüft werden muss auch eine Einschränkung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bei der Kündigungspraxis kirchlicher Krankenhäuser, wenn eine Abtreibung vorgenommen oder die Pille danach empfohlen wird. Dass Ärztinnen und Ärzte sich nach den eigenen ethischen Vorstellungen für eine Abtreibung an einer Patientin entscheiden können dürfen, muss auch hier gelten.

Hinsichtlich der Hasskriminalität ist ein konsequentes rechtsstaatliches Vorgehen gegen Personen unabdingbar, die bedrohen, verleumden und Gewalt anwenden. Das betrifft insbesondere Kriminalität im Internet, für deren Verfolgung es dringend einer Effizienzsteigerung im Sinne unseres Antrags „NetzDG oder Klarnamenpflicht? Opferschutz geht auch anders!“ bedarf.

 

Sonnenuntergang

Zurück in der Neuen Welt begegnen wir wieder einmal einem Paradebeispiel für diesen ansteigenden „raueren“ Umgangston, der vor allem Frauen trifft. Die demokratische Abgeordnete Alexandra Ocasio-Cortez wird von ihrem republikanischen Kollegen Ted Yoho auf den Treppen des Kapitols als „disgusting“ und „fucking bitch“ bezeichnet. Es kam wie es kommen musste und der Abgeordnete rechtfertigt sich vor dem Repräsentantenhaus in einer Rede, die er hauptsächlich darauf stützt, dass er als Vater zweier Töchter und Ehemann einer Frau doch niemals respektlos gegenüber Frauen sein könnte. Die Rede ist an dem gängigen Missverständnis erkrankt, dass den Anreiz für ein respektvolles Miteinander in persönlichen Beziehungen zum anderen Geschlecht sucht. Du belästigst eine Frau nicht, weil sie jeman(n)des Tochter, Schwester oder Nichte sein könnte; du belästigst eine Frau nicht, weil sie ein Jemand ist.

Die ursprünglich stille Alexandra Ocasio-Cortez gab nach dieser „Entschuldigung“ ihr Schweigen auf und hielt das, was in der Presse mittlerweile als „Rede ihres Lebens“ bekannt ist. In ihren tatsächlich sehr lohnenswerten, empowernden und leidenschaftlichen Ausführungen spricht sie stellvertretend für alle Opfer verbaler Attacken und trat eine Diskussion um sexistische Beleidigungskultur los. Ihre Kollegin Ilhan Omar schloss sich mit einer nicht minder beeindruckenden Rede an.

Wie Misogynie auch in Deutschland Mittel von Einschüchterungen ist, wurde in diesem Monat durch die Drohbriefe des selbsternannten NSU 2.0 auf die Spitze getrieben. Die rechtsradikalen Einschüchterungsversuche richten sich auffällig häufig an Frauen und enthalten in diesen Fällen geschlechtsbezogene Angriffe. Dass der Rechtsextremismus immer auch ein Antifeminismus ist, ist nichts neues. Aber es führt ein für alle Mal zu der erforderlichen Erkenntnis, dass der Feminismus als Kampf für die Gleichberechtigung aller Geschlechter nicht dort aufhören darf, wo andere -Ismen anfangen. Jeder Feminismus muss immer auch ein Antirassismus sein.

 

Sonnenfinsternis

Und sonst so? In Belgien dauern die Proteste gegen das eingeführte Kopftuch-Verbot für Studentinnen an. Polen droht mit dem Austritt aus der Istanbul-Konvention zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen, bei deren Umsetzung auch Deutschland sich nicht mit Ruhm bekleckert hat. In der Türkei trennt sich eine Frau von einem Mann, nachdem sie erfährt, dass er bereits verheiratet ist. Er würgt sie daraufhin zu Tode und es entsteht eine Social-Media-Aktion mit schwarz-weißen Fotos, die an die Todesanzeigen von von ihren (Ex-)Partnern ermordeten Frauen erinnern sollen. In Frankreich wird beim Umbau der französischen Regierung ein Innenminister ernannt, gegen den Ermittlungen wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung im Gange sind. Die CDU diskutiert noch immer über ihre Frauenquote. In Thüringen wird die Quotierung der Landeslisten für verfassungswidrig erklärt, kurz darauf fordert der niedersächsische Ministerpräsident ein ebensolches Gesetz für Niedersachsen. Winter is coming… und es braucht endlich eine starke liberal-feministische Stimme, die sich all dem entgegenstellt.