Freiheit von…, Freiheit zu …

„Steh‘ auf, glaube an deine Ideen und Träume, vertraue dir und deinen Fähigkeiten“ sagen wir uns und den Menschen, für die wir als Junge Liberale Politik machen. Wir wählen Bilder wie „Architekt/in des eigenen Lebens“ und meinen das, was Leitgedanke für all unsere politischen Überzeugungen ist: die Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen, Initiative des Individuums, das Leben als Hauruckmoment. Nie war offensichtlicher als jetzt, dass die gesellschaftlichen Startbedingungen für das Leben in einem Maße unterschiedlich sind, wie es niemand von uns hinnehmen kann. Das können, das dürfen wir gerade dann nicht, wenn wir selbst nicht diejenigen sind, zu deren Lasten die Missstände fallen. Bei allem, was uns antreibt, war und ist uns immer klar: Individuelle Freiheit ohne Verantwortung für die Freiheit unserer Nächsten – nicht denkbar.

Ja, der rassistische Mord an dem schwarzen US-Amerikaner George Floyd hat zu Recht viele Menschen geschockt, verstört und dazu veranlasst, auf die Straße zu gehen und für das Ende des Rassismus zu kämpfen. Da gerade jetzt während der Corona-Pandemie ein erheblicher Teil unseres sozialen Lebens im Internet stattfindet, war die Wucht der Solidarität mit von Rassismus betroffenen schwarzen Menschen gewaltig. Vielen Menschen ist erst dadurch bewusst geworden, dass Rassismus für einen Teil unserer Gesellschaft kein abstraktes Problem, sondern prägender Teil ihrer Erfahrungswelt. Das ist im Deutschland des Jahres 2020 umso beschämender und ruft völlig zu Recht das Gefühl hervor, sich zum Thema Rassismus in irgendeiner Weise verhalten zu müssen. In welcher Weise, dazu gibt es tatsächlich genau eine echte Option.

Poste ich eine schwarze Kachel auf Instagram? Wenn ja, reagiere ich dann nur auf einen Trend? Wenn nein, ist mir das Thema etwa egal? Mir sind solche banal erscheinenden Entscheidungen über Tage schwergefallen. Aber es ist nicht von Bedeutung, welchem Kollektivempfinden wir uns heute zugehörig fühlen. Es ist nicht zynisch, sondern natürlich, dass Awareness im Kleinen beginnt. Die eigentlich wichtige Entscheidung, ist die für unser aktives Handeln. Nicht zuhören und schockiert die Augen aufreißen angesichts des massiven Rassismusproblems in unserem Land ist jetzt an der Tagesordnung. Immer öfter sagen schwarze Personen, dass sie müde sind, ihre Erlebnisse im Zusammenhang mit Rassismus wieder und wieder durchleben zu müssen, um Weißen zu erklären, wie ernst es ist. Man muss dieses Gefühl als weiße Person nicht nachempfinden können, um es zu verstehen, zu respektieren und eigene Konsequenzen daraus zu ziehen.

Für mich persönlich gab es ein essenzielles Learning in den letzten Wochen: Warum ist der erste Impuls, wenn dringend Veränderung her muss, Bewusstsein dafür zu schaffen, dass und warum das so ist? Richtig, weil offensichtlich vorher kein Bewusstsein da war. Das schlimmste ist, wenn jeder und jede davon ausgeht, nicht Teil des Problems zu sein. Es ist ein unangenehmes Eingeständnis, aber da müssen wir jetzt durch: Die Gesellschaft, in der wir leben, formt ab Werk Rassismen im Denken und Handeln.

Machen wir Schluss damit, seien wir ehrlich zu uns selbst und hinterfragen wir jeden Tag, was wir sagen und tun, seien wir kritisch gegenüber uns selbst und denen, mit denen wir uns umgeben. Eine Demokratie ist immer so gut, wie die Demokratinnen und Demokraten, die sie dazu machen. #BLACKLIVESMATTER

 

Jonas Bagdonat ist 24 Jahre alt und studiert Politikwissenschaft in Göttingen.