Januar 2020: Der Papst, Herr Kurz und ein paar Nacktfotos

Frisch in das Jahr 2020 gerutscht, schaltet die/der junge Politikinteressierte von heute am 01. Januar selbstverständlich die Neujahrspredigt des Papstes an. „Gewalt an Frauen ist eine Schändung Gottes“ lässt er dabei verlauten. Was in nahezu fortschrittlicher Manier beginnt, indem das katholische Kirchenhaupt auf die tanzende Frauenbewegung in Chile anspielt, endet mit der Mahnung vor der Demütigung der „Mutterschaft (…), weil das einzige Wachstum, das interessiert das Wirtschaftswachstum ist“. Selbst der Papst schafft es unter dem Deckmantel der Frauenbewegung ein konservatives Frauenbild, verbunden mit einem linken Wirtschaftsideal zu propagieren. Liberale, feministische Stimmen? Spätestens jetzt dringend von Nöten!

Für eine starke liberale Stimme konnten wir uns bis vor Kurzem immer auf die USA verlassen. Ursprünglich Vorzeigenation in Freiheitskämpfen und liberalen Werten, nahm die seit einiger Zeit brodelnde Debatte um das Abtreibungsrecht der Frau im Januar konkrete Formen an. Nachdem Alabama, Georgia, Louisiana, Ohio, Mississippi, Missouri und Kentucky im letzten Jahr Anti-Abtreibungs-Gesetze verabschiedet hatten, stehen seit diesem Monat Termine für Hearings vor dem Supreme Court zu einem Abtreibungsfall fest. Da zeigte auch Donald Trump gleich, wo er steht, als er auf einer seiner ersten Wahlkampfveranstaltungen auf dem Anti-Abortion March for live teilnahm – als erster US-amerikanischer Präsident überhaupt.

Doch die Diskussion in den USA nimmt auch jetzt schon rechtliche Formen an: Nachdem Virginia verlauten ließ die seit 38 Jahren ausstehende Ratifizierung des Amendments der Gleichberechtigung von Männern und Frauen vorzunehmen, womit es in die US-amerikanische Verfassung gekommen wäre, schob das Justizministerium dem einen Riegel vor. Die Ratifizierung sei zu spät und folglich unzulässig. Dass ein Bekenntnis zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen einmal in die US-amerikanische Verfassung aufgenommen wird, ist damit in weite Ferne gerückt. Als wäre das nicht genug, legte das Justizministerium gleich nach. So erging die Anweisung, die juristische Definition von häuslicher Gewalt und sexueller Belästigung in den USA nun deutlich enger auszulegen. Freiheit von Männern und Frauen durch Emanzipation? Das große Geschwisterchen USA hilft uns dieses Mal nicht aus der Patsche.

Da bietet es sich doch an, die schützende Hand der USA zu verlassen und in die große weite Welt hinauszuziehen. Betroffen machten uns hierbei im Januar zweierlei: die Waldbrände in Australien und die Krise im Iran. Letztere führte zu einer Protestbewegung gegen das iranische Regime. Wie so oft in der Geschichte schloss sich eine Freiheitsbewegung für/von Frauen an.  Sie rissen Plakate des ermordeten General Soleimani herunter, demonstrierten auf den Straßen und haben einige prominente Gesichter vorzuweisen. Drei Fernsehmoderatorinnen kündigten öffentlichkeitswirksam; eine iranische Schiedsrichterin trug ihr Kopftuch auf der Schachweltmeisterschaft erst „zu locker“ und nahm es nach darauffolgenden Drohungen mutig ganz ab. Dabei geht es nicht um die Art und Weise wie sich eine Frau anzieht, sondern um den Eingriff in ihre Entscheidungsfreiheit mit ihrem Körper tun und lassen zu können, was sie will.

Diese Entscheidungsfreiheit kam Kaylen Ward in ihrem Anliegen Australien im Kampf gegen die Waldbrände zu unterstützen zu gute. Auf Twitter machte die Influencerin das anscheinend unschlagbare Angebot für jede 10$-Spende nach Australien an die Spender oder Spenderinnen ein Nacktbild zu verschicken. Von ihrer Familie wurde sie jetzt nach eigener Aussage verstoßen, ihr Fast-Freund hat den Kontakt kommentarlos abgebrochen. Erfolgreich war die Aktion dennoch: Innerhalb von drei Tagen sammelte sie so 700.000$, 400.000 neue Follower, mehrere Nachahmerinnen und löste Begeisterungsstürme in der Twitter-Community aus. Sogar dem Klimawandel wurde plötzlich ganz optimistisch entgegengesehen, denn (Klimaschützerinnen und Klimaschützer aufgepasst): „Moderne Probleme erfordern eben moderne Lösungen“ und „That’s the real spirit“ (Kommentare unbekannter Twitter-User). Die Aktion musste nach ein paar Tagen abgebrochen werden – Kaylen Ward kam mit dem Senden von Nacktbildern trotz Unterstützung eines Social-Media-Teams nicht mehr hinterher. So sehr das Versenden von Nacktbildern einzig und alleine ihrer Entscheidungshoheit unterliegt: weder im Privat- noch im virtuellen Leben hat die Gesellschaft sich hier mit Ruhm bekleckert.

Machen wir uns nach diesem gescheiterten Ausflug in die Welt nun doch lieber auf den Nachhauseweg. Vorbei kommen wir dabei an der Türkei, die für Minderjährige nun wieder sogenannte „Marry-your-rapist-Gesetze“ einführen wird. Ja, das Gesetz hält, was sein Name verspricht; die Kampagne, die die UN seit Jahren in Mittel- und Nordafrika gegen diese Gesetze führt, scheint nicht angekommen zu sein.

Auf unserer weiteren Route gelangen wir nach Österreich, wo wir das erste Mal auf unserer Reise einem Fortschritt begegnen. Österreich machte es in seiner Regierungsbildung nämlich Finnland nach und hat jetzt die jüngste und weiblichste Regierung, die das Land je hatte. 8 von 15 Ministerposten werden von Frauen besetzt, 6 der 15 Ministerinnen und Minister sind unter 40. Was in der Öffentlichkeit durchaus begrüßenswert dazu führt, dass die Regierung diverser aufgestellt ist und ein höheres Identifikationspotential für einen größeren Anteil in der Bevölkerung bietet, steht nicht zwingend für inhaltliche Progressivität. Zur Erinnerung: Ministerpräsident bleibt Sebastian Kurz. Kurz darauf schloss sich Spanien mit seinem neuen Kabinett an und setzt sich nun ebenfalls aus der Hälfte von Frauen und der Hälfte von Männern zusammen.

Zurück zuhause wird dasselbe Thema statt in freier Wahl in einer groß aufgeblasenen Debatte bürokratisiert: die Fraktionen Bündnis 90/die Grünen und die Linke haben im Bundestag einen Antrag zur Einrichtung einer Paritäts-Kommission eingereicht. Zugegeben: ein demokratischer Weg. Aber auch sonst finden sich nur wenige Fortschritte wieder: Frau Giffey hat ein Konzept zur Gleichstellungspolitik vorgelegt, was zu der (späten) Erkenntnis kam sich auch mit Männerrechten beschäftigen zu müssen. Es wurde festgestellt, dass keine einzige Universität in Deutschland den Namen einer Frau trägt. Eine Frau beschwerte sich beim Neusser Neujahrsempfang mit der Begründung abgelehnt worden zu sein, dass sie entgegen des Dress-Codes keine High Heels trug. Der neue RTL-Bachelor verbreitete das frauen- wie männerfeindliche Bild ein „richtiger Mann“ würde nur durch eine „gute Frau an seiner Seite“ „entstehen“. (Ex-)Partnerschafts-Gewalttaten setzen sich fort, berichtet wird insbesondere über die schwere Verletzung eines Mannes in München, der von dem Ex-Freund seiner neuen Partnerin niedergestochen worden ist. Eine Bremerin wurde von einem Polizeibeamten ausgelacht als sie wegen der Nachricht „Ich habe deine Adresse und werde dich vergewaltigen und dann in deiner Badewanne ertränken“ Anzeige erstatten wollte. Das Disziplinarverfahren gegen den Beamten läuft. Der Bundesgerichtshof hat zur Kostenübernahme von künstlichen Befruchtungen für über 40-jährige Frauen positiv entschieden – entgegen einer Gesetzesfassung, die Christian Lindner auf dem Drei-Königs-Treffen 2019 bereits als geschlechterdiskriminierend bewertet hatte.

Aber immerhin: In einem Bericht des World Economic Forums für 2020 zum Stand der Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist Deutschland das erste Mal seit 2007 wieder unter den Top Ten. Dabei wird die Situation vom Verhältnis von Frauen und Männern in politischer, wirtschaftlicher, bildungs- und gesundheitspolitischer Perspektive analysiert. Erschreckendste Prognose dieser Studie: Machen wir weiter wie bisher, wird erst 2276 weltweit tatsächlich die Gleichberechtigung von Mann und Frau erreicht sein. Nun dann, Save the Date.

Global wie auch in Deutschland regen die Ereignisse im Januar zum Nachdenken an. Es braucht feministische Stimmen, die Menschen weltweit ermutigen und nicht alleine lassen; Stimmen, die Probleme selbstbewusst benennen und einen kreativen Ausweg anbieten; Stimmen, die optimistisch nach vorne schauen und offen für progressive Inhalte sind. Das klingt doch ganz nach uns. Liberale, fangen wir endlich an!