Junge Liberale Niedersachsen: Finger weg von den Corona-Gästelisten 

Die Jungen Liberalen Niedersachsen sprechen sich gegen die Einsichtnahme in sogenannte Corona-Gästelisten durch die Landespolizei aus und fordern Landesinnenminister Boris Pistorius dazu auf, entsprechende Vorgehensweisen in Niedersachsen zu untersagen.

Der Landesvorsitzende der Jungen Liberalen Niedersachsen, Lars Alt, erklärt hierzu:„Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie dürfen nicht zu einem gläsernen Bürger führen. Persönliche Daten sind immer vertraulich zu behandeln. Daten, die zur Verfolgung von Infektionsketten angegeben werden, sollten deshalb auch nur hierzu verwendet werden dürfen.“

Aus Sicht der Jungen Liberalen Niedersachsen sollte die Polizei sogenannte Corona-Gästelisten nicht einsehen dürfen. „Die Gästelisten müssen nach Ablauf der Fristen sofort vernichtet werden, um eine zweckentfremdete Nutzung zu verhindern. Ein polizeilicher Zugriff auf diese Daten erschüttert das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat, schadet der ohnehin schon gebeutelten Gastronomie und gefährdet die Akzeptanz für die bisher getroffenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung“, erklärt Alt.

„Ohne Pandemielage würden diese Daten erst gar nicht erhoben werden. Der Schutz der persönlichen Daten der Bürgerinnen und Bürger muss auch zu Zeiten von Corona gewährleistet bleiben. Wir fordern Landesinnenminister Boris Pistorius deshalb dazu, eine zweckentfremdete Nutzung der Gästelisten grundsätzlich zu untersagen“, so Lars Alt abschließend, der auch Mitglied des FDP-Landesvorstandes ist.

Junge Liberale unterstützen Senkung des Wahlalters

Die Jungen Liberalen Niedersachsen unterstützen das Vorhaben des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) zur Senkung des Wahlalters und erwarten auch eine Initiative der FDP. Die Jungen Liberalen fordern das Wahlalter auf Landes- und Bundesebene auf 16 Jahre abzusenken.

„Junge Menschen treffen bereits mit 16 wichtige Lebensentscheidungen. Sei es die Wahl der Berufsausbildung oder der Schwerpunkt für die allgemeine Hochschulreife. Sie zahlen in Teilen bereits Steuern und nehmen in den verschiedensten Lebensbereichen Verantwortung wahr. Eine frühe Auseinandersetzung mit der persönlichen Wahlentscheidung führt zu einer größeren Identifikation mit der Demokratie, stärkt die politische Bildung und fördert das Interesse an politischen Prozessen“, erklärt der Landesvorsitzende der FDP-Jugendorganisation Lars Alt.

„Der demographische Wandel führt zu einer stetigen Verschiebung von Wählergruppen und Themen zugunsten der älteren Generation. Das Wahlrecht ab 16 Jahren würde daher einen wichtigen Beitrag zur Generationengerechtigkeit leisten. Unsere Demokratie braucht frühe Partizipation“, so Alt weiter.

Auf Landesebene ist ein Wahlrecht ab 16 bereits in Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein realisiert. In elf Bundesländern, darunter auch in Niedersachsen, liegt zumindest auf kommunaler Ebene das aktive Wahlalter bei 16 Jahren.

„In Österreich dürfen Jugendliche schon seit über zehn Jahren mit 16 Jahren wählen, Malta senkte das Wahlalter vor 2 Jahren. Deutschland sollte sich ein Beispiel an den europäischen Kolleginnen und Kollegen nehmen und diesem Vorbild folgen“, so Alt, der auch Mitglied des FDP-Landesvorstandes ist.

Der Landesvorsitzende erwartet nun auch eine Unterstützung für die Forderung in der FDP: „Als Partei der Eigenverantwortung sollte man jungen Menschen eine Wahlentscheidung zutrauen. Die FDP Niedersachsen hat das Wahlrecht ab 16 auf Initiative der Jungen Liberalen bereits beschlossen. Auch von der Bundespartei und der Bundestagsfraktion erwarten wir nun eine klare Haltung in dieser Frage“, erklärt Alt abschließend.

Juli 2020: Winter is coming

Über den USA ziehen düstere Wolken auf – und damit ist nicht President Trump gemeint. Die im letzten Jahr reihenweise verschärften Abtreibungsgesetze aus Louisiana, Alabama, Georgia, Iowa, Mississippi, Kentucky und Ohio finden langsam ihren Weg zum US Supreme Court. Am Schärfsten ist wohl das absolute Abtreibungsverbot aus Alabama, nach dem Ärztinnen und Ärzten bei Vornahme einer Abtreibung eine zehn- bis 99-jährige Haftstrafe droht. Vergewaltigungsopfer sind von dem Verbot der Abtreibung ausdrücklich erfasst. Als Erstes erging nun das Urteil zum louisianischen Gesetz, das neben einer 6-Wochen-Grenze die Zulassung zum Schwangerschaftsabbruch für Ärztinnen und Ärzte außerhalb der Hauptstadt des drei Mal so großen Bundeslandes wie Niedersachsen faktisch unmöglich machte.  Es ist durch eine abweichende Meinung aus dem konservativen Flügel für verfassungswidrig erklärt worden. Die Bilder von freudigen Umarmungen und Tänzen von Aktivistinnen und Aktivisten bleiben einem im Halse stecken, wenn man sich näher mit der Begründung des Abweichlers auseinandersetzt. Denn noch 2016 hatte Chief Justice John Roberts, Jr. ein gleichlautendes Gesetz in Texas für verfassungsgemäß erklärt. Seine nunmehr abweichende Meinung begründet er mit ebendieser Entscheidung: In dem US-amerikanischen Rechtssystem gilt eine Art Kontinuitätsgrundsatz, nach dem eine Entscheidung des Supreme Courts zu einer gleichen Sache nicht in wenigen Jahren überholt werden darf. Der Grundsatz wird der Lagerbildung im Gericht gerecht und Chief Justice Roberts hielt sich ehrenwerterweise – im Gegensatz zu seinen anderen konservativen Kollegen – an diese Regel. Das louisianische Gesetz war als texanische Kopie also einfach zu schlecht gemacht. Seinen Ärger tut Chief Justice Roberts gleich kund, indem er Handlungsempfehlungen an den Gesetzgeber in Louisiana herausgab, wie ein Gesetz sich von dem texanischen Entwurf hinreichend unterscheiden und er in der Folge zustimmen könnte. Die Fronten im US-Supreme Court sind damit verteilt. Mit fünf bekennenden Abtreibungsgegnern haben die noch ausstehenden Gesetze eine gute Chance die Grundsatzentscheidung Roe vs. Wade zum Selbstbestimmungsrecht der Frau tatsächlich zu kippen.

 

Sonnenaufgang

Mit einem kurzen Blick Richtung Osten werden die US-amerikanischen Abtreibungsgegnerinnen und -gegner zufriedenstellend feststellen, dass auch Deutschland den erhobenen, moralischen Zeigefinger ganz schnell wieder einziehen sollte. Hierzulande hat die Bundesärztekammer diesen Monat nämlich verkündet, dass sich bundesweit 327 Ärztinnen und Ärzte auf die Informationsliste eingetragen haben, die vor einem Jahr anstelle der Abschaffung von §219a StGB von der Großen Koalition eingeführt worden ist. Gleichzeitig warnte sie vor Drohungen und Gewalthandlungen, die einige Personen infolge der Eintragung bereits erlitten hätten. Die Anzahl wurde als zu gering bemängelt; das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass die Versorgungslage seit 2003 um 40% gesunken ist. In einigen Regionen, wie beispielsweise im niedersächsischen Emsland, werden Wege von 80-150km bis zur nächsten Praxis veranschlagt. Das führte bei der Grünen Jugend zu dem Vorstoß, jede Neueinstellung in einem Uni-Klinikum an die Bereitschaft Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen zu knüpfen. Unter Ministerpräsident Kretschmann wird dieser Vorschlag nun ernsthaft geprüft.

Was ist also zu tun, wenn man das Abtreibungsrecht als Selbstbestimmungsrecht der Frau begreift und ihm zur faktischen Umsetzbarkeit verhelfen will, ohne die Berufs- und Gewissensfreiheit der Ärzteschaft einzuschränken? Die schlechte Versorgungslage wird einerseits mit der begründeten Angst vor Drohungen und andererseits mit einem geringen Interesse der medizinischen Nachfolgegeneration erklärt. Wer in den 70er Jahren die prekäre Versorgungslage und die hohen gesundheitlichen Risiken miterlebt hat, die Folge eines Abtreibungsverbots sind, hat in den 90er Jahren eher die politische Notwendigkeit gesehen einen Beitrag zur Umsetzbarkeit der eingeführten Fristenlösung zu leisten. Tatsächlich sind viele der 327 Personen auf der Liste kurz vor dem Renteneintritt. Helfen kann also eine Sensibilisierung im Studium über die schwerwiegenden gesundheitlichen Konsequenzen einer Abwesenheit von zugelassenen Ärztinnen und Ärzten sowie eine öffentliche Debatte, die die Ärzteschaft ab den 68er Jahren politisiert hat. Geprüft werden muss auch eine Einschränkung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bei der Kündigungspraxis kirchlicher Krankenhäuser, wenn eine Abtreibung vorgenommen oder die Pille danach empfohlen wird. Dass Ärztinnen und Ärzte sich nach den eigenen ethischen Vorstellungen für eine Abtreibung an einer Patientin entscheiden können dürfen, muss auch hier gelten.

Hinsichtlich der Hasskriminalität ist ein konsequentes rechtsstaatliches Vorgehen gegen Personen unabdingbar, die bedrohen, verleumden und Gewalt anwenden. Das betrifft insbesondere Kriminalität im Internet, für deren Verfolgung es dringend einer Effizienzsteigerung im Sinne unseres Antrags „NetzDG oder Klarnamenpflicht? Opferschutz geht auch anders!“ bedarf.

 

Sonnenuntergang

Zurück in der Neuen Welt begegnen wir wieder einmal einem Paradebeispiel für diesen ansteigenden „raueren“ Umgangston, der vor allem Frauen trifft. Die demokratische Abgeordnete Alexandra Ocasio-Cortez wird von ihrem republikanischen Kollegen Ted Yoho auf den Treppen des Kapitols als „disgusting“ und „fucking bitch“ bezeichnet. Es kam wie es kommen musste und der Abgeordnete rechtfertigt sich vor dem Repräsentantenhaus in einer Rede, die er hauptsächlich darauf stützt, dass er als Vater zweier Töchter und Ehemann einer Frau doch niemals respektlos gegenüber Frauen sein könnte. Die Rede ist an dem gängigen Missverständnis erkrankt, dass den Anreiz für ein respektvolles Miteinander in persönlichen Beziehungen zum anderen Geschlecht sucht. Du belästigst eine Frau nicht, weil sie jeman(n)des Tochter, Schwester oder Nichte sein könnte; du belästigst eine Frau nicht, weil sie ein Jemand ist.

Die ursprünglich stille Alexandra Ocasio-Cortez gab nach dieser „Entschuldigung“ ihr Schweigen auf und hielt das, was in der Presse mittlerweile als „Rede ihres Lebens“ bekannt ist. In ihren tatsächlich sehr lohnenswerten, empowernden und leidenschaftlichen Ausführungen spricht sie stellvertretend für alle Opfer verbaler Attacken und trat eine Diskussion um sexistische Beleidigungskultur los. Ihre Kollegin Ilhan Omar schloss sich mit einer nicht minder beeindruckenden Rede an.

Wie Misogynie auch in Deutschland Mittel von Einschüchterungen ist, wurde in diesem Monat durch die Drohbriefe des selbsternannten NSU 2.0 auf die Spitze getrieben. Die rechtsradikalen Einschüchterungsversuche richten sich auffällig häufig an Frauen und enthalten in diesen Fällen geschlechtsbezogene Angriffe. Dass der Rechtsextremismus immer auch ein Antifeminismus ist, ist nichts neues. Aber es führt ein für alle Mal zu der erforderlichen Erkenntnis, dass der Feminismus als Kampf für die Gleichberechtigung aller Geschlechter nicht dort aufhören darf, wo andere -Ismen anfangen. Jeder Feminismus muss immer auch ein Antirassismus sein.

 

Sonnenfinsternis

Und sonst so? In Belgien dauern die Proteste gegen das eingeführte Kopftuch-Verbot für Studentinnen an. Polen droht mit dem Austritt aus der Istanbul-Konvention zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen, bei deren Umsetzung auch Deutschland sich nicht mit Ruhm bekleckert hat. In der Türkei trennt sich eine Frau von einem Mann, nachdem sie erfährt, dass er bereits verheiratet ist. Er würgt sie daraufhin zu Tode und es entsteht eine Social-Media-Aktion mit schwarz-weißen Fotos, die an die Todesanzeigen von von ihren (Ex-)Partnern ermordeten Frauen erinnern sollen. In Frankreich wird beim Umbau der französischen Regierung ein Innenminister ernannt, gegen den Ermittlungen wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung im Gange sind. Die CDU diskutiert noch immer über ihre Frauenquote. In Thüringen wird die Quotierung der Landeslisten für verfassungswidrig erklärt, kurz darauf fordert der niedersächsische Ministerpräsident ein ebensolches Gesetz für Niedersachsen. Winter is coming… und es braucht endlich eine starke liberal-feministische Stimme, die sich all dem entgegenstellt.

Sonderausgabe: Im Namen des Volkes…

… hat der Thüringische Verfassungsgerichtshof heute entschieden, dass das Thüringische Paritätsgesetz verfassungswidrig ist. Der bayrische Verfassungsgerichtshof sieht das ähnlich. In Brandenburg steht eine Entscheidung durch das Landesverfassungsgericht noch aus. Zu dem thüringischen Urteil sind drei Sondervoten ergangen, die das anders sehen. Mit der Entscheidung des Thüringischen Verfassungsgerichts wird die Diskussion um weibliche Partizipation in den Parlamenten nicht aufhören. Zumal seitens Paritätsbefürworterinnen und -befürwortern alternative Gesetzesvorschläge folgen werden.

 

I. Rechtslage

In der juristischen Literatur ist die Verfassungsmäßigkeit eines Paritätsgesetzes heillos umstritten. Von einer Pflicht des Gesetzgebers ein Paritätsgesetz einzuführen bis hin zur Verfassungswidrigkeit wird alles vertreten. Gemeinsam haben die bereits umgesetzten oder angestrebten Paritätsgesetze, dass die Wahlvorschlagslisten abwechselnd durch Frauen und Männer besetzt werden müssen. Interpersonen können sich auf jeden Platz bewerben. Wird dieses Reißverschlussverfahren nicht eingehalten, wird die Liste nicht zur Wahl zugelassen oder neu besetzt.

Die Ausgestaltung des Wahlrechts ist auf Bundesebene gemäß Art. 38 Abs. 3 GG dem Bundesgesetzgeber überlassen. Entsprechendes gilt für die Landesgesetzgebung zu Landtags- und Kommunalwahlen. Das Bundesverfassungsgericht spricht dem Gesetzgeber diesbezüglich einen weiten Spielraum zu, der die Auswahl des Wahlsystems und dessen Durchführung umfasst. Dieser weite Gestaltungsspielraum wird alleine durch das höherrangige Verfassungsrecht begrenzt. Für und gegen die Verfassungsmäßigkeit der Paritégesetzgebung sprechen mehrere verfassungsrechtliche Gebote und Prinzipien, die letztendlich in einen schonenden Ausgleich zu bringen sind.

 

1. Parteienfreiheit und Wettbewerbschancengleichheit

Die an Parteien adressierte Verpflichtung ihre Listen paritätisch zu besetzen, greift in die Parteienfreiheit und Wettbewerbschancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 S. 2, 1 GG (i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) ein. Ersteres schützt die Parteien vor staatlichen Einwirkungen und gewährleistet nicht nur die Freiheit der Gründung, sondern auch die Freiheit der parteilichen Betätigung. Welchen Listenplatz die einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten erhalten, ist Ausdruck inhaltlicher Schwerpunktsetzung der Parteien. Eine gesetzliche Vorgabe, mit welchen Geschlechtsproportionen die Wahllisten aufzustellen sind, schränkt die Parteien in ihrer inhaltlichen und personellen Auswahlfreiheit ein. Die gewählten Personen sollen den Parteien innerhalb der parteilich bevorzugten Zielgruppe auch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. So mobilisiert eine paritätisch besetzte Liste die urbane Wählerinnenschaft des Bündnis 90/Die Grünen sicherlich mehr, als es die patriarchale Wählerschaft der AfD anspricht. Auch der unterschiedliche Frauenanteil innerhalb der Parteien bei gleicher Verpflichtung zu 50% kann die Kandidatinnenauswahl für Parteien mit geringem Frauenanteil erschweren. Die Pflicht abwechselnd Männer und Frauen aufzustellen steht mithin der Wettbewerbschancengleichheit im Weg.

 

2. Passive und aktive Wahlfreiheit

Die Wahlfreiheit ist in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG verankert. Sie ist unabdingbares Merkmal demokratischer Meinungsbildung und Legitimation. Sie gewährleistet das Recht zur freien Wählbarkeit (passive Wahlfreiheit) und der freien Findung und Ausübung der eigenen Wahlentscheidung (aktive Wahlfreiheit). Letztere ist beim Vorgang der Wahl beeinträchtigt, wenn Wählerinnen und Wählern eine staatlich vorgefilterte Liste vorgelegt wird. Viel wichtiger aber ist, dass die Wahlfreiheit nach ganz überwiegender Ansicht nicht nur den Vorgang der Wahl, sondern auch die Wahlorganisation betrifft. Dazu gehört auch das freie Wahlvorschlagsrecht für alle Wahlberechtigten. Dieses ist begrenzt, wenn der oder die Wahlberechtigte sich nicht auf dem ursprünglich gewünschten Listenplatz aufstellen lassen und gewählt werden kann.

 

3. Passive Wahlgleichheit

Auch die Wahlgleichheit aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG erstreckt sich auf den Zeitraum der Wahlorganisation. Dabei muss jede wahlberechtigte Person denselben Zugang zur Aufstellung zur Wahl haben. Argumentiert wird nun, dass der Zugang zu Listenplätzen in Parteien für Frauen aufgrund struktureller Diskriminierungsmechanismen ungleich schwerer sei als für Männer. Kann man nachweisen, dass diese Diskriminierungsstrukturen in einer Partei vorherrschen, ist der Zugang zu Listenplätzen faktisch ungleich. Legt man dieses materielle Gleichheitsverständnis zugrunde, könnte also über die Herstellung gleicher Zugangsvoraussetzungen wie eine ausgleichende Quote nachgedacht werden. Dem haben das Bundesverfassungsgericht sowie die herrschende juristische Literatur seit jeher eine Absage erteilt. Das Grundgesetz legt ein streng formelles Gleichheitsverständnis zugrunde, was im Widerspruch zu der ergebnisorientierten materiellen Leseart steht. Gleichheit im formellen Sinne betrifft alleine die gleichen rechtlichen Zugangsvoraussetzungen. Und diese sind gerade nicht erfüllt, wenn für den Listenplatz X ein bestimmtes Geschlecht vorgewiesen werden muss.

 

4. Bevorzugung oder Benachteiligung aufgrund des Geschlechts

In eine ähnliche Richtung lässt sich unter Bezugnahme auf Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG argumentieren. Hiernach ist jede staatliche Bevorzugung oder Benachteiligung einer Person aufgrund ihres Geschlechts nur unter strenger Rechtfertigung möglich. Ein Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG vorgehender sachlicher Grund ist allerdings das Gleichberechtigungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, sodass eine auf Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG gestützte Argumentation schwach ist. Bei binärer Ausgestaltung des Paritätsgesetzes kann auch eine Benachteiligung von Inter- oder Trans-Personen einschlägig sein. Können/Dürfen/Müssen diese sich hingegen einem „männlichen“ oder „weiblichen“ Platz zuordnen, ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG betroffen.

 

5. Gleichberechtigungsgebot

Letztendlich findet jedes Gegenargument seinen Weg zu Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG. Denn der Eingriff oder die Ungleichbehandlung können dann gerechtfertigt sein, wenn ein legitimes Ziel den beeinträchtigten Interessen überwiegt. Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG bestimmt, dass der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Er geht somit über ein rein formelles Gleichheitsverständnis hinaus und konstatiert einen Verfassungsauftrag, welcher sich auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt. Das ist mit den oben genannten Beeinträchtigungen in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Zu berücksichtigen sind dabei Regelungsalternativen und der Umstand, dass der freie und gleiche Zugang zur Wahl wesentliche Pfeiler unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung sind. Schwer ins Gewicht fällt auch der staatliche Sanktionsmechanismus, den Listenvorschlag der Partei nicht zur Wahl zuzulassen oder die Reihenfolge anzupassen. Wie man diese widerstreitenden Interessen gegeneinander abwägt, ist letzten Endes eine Wertungsfrage – das thüringische Verfassungsgericht hat Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG aus genannten Gründen in einem Verhältnis von 6:3 nicht als überwiegend angesehen.

 

6. Demokratieprinzip

Juristisch derzeit noch zu vernachlässigen, aber auf demokratietheoretischer Ebene umso interessanter sind Argumentationsstränge, die sich auf das Demokratieprinzip in Art. 20 Abs. 2, 1 GG berufen. Eine zunehmend forcierte Identitätspolitik fördert die Annahme, dass die einzelnen individuellen Identitäten der gemeinsamen Identität als Bürgerinnen und Bürger vorgehen. Demokratische Repräsentation und damit auch Legitimation würde demzufolge nicht mehr aus einer demokratischen Wahl durch das Staatsvolk, sondern durch die Spiegelung der gesellschaftlichen Identitäten im Parlament folgen. Konsequenterweise müsste man die Quotierungen dann zumindest auf ähnlich stark diskriminierte Gruppen ausweiten, bspw. auf People of Color. Das Grundgesetz legt mit dem freien Mandat in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ein anderes Demokratieverständnis zugrunde: Zwar kann und will die oder der einzelne Abgeordnete nicht alle Interessen des Volkes vertreten, aber jedenfalls die Gesamtheit aller demokratisch gewählten Abgeordneten repräsentiert die Gesamtheit des Volkes. Das kann verfassungspolitisch höchstens dann infrage gestellt werden, wenn bestimmte soziale Perspektiven nicht oder nur äußerst geringfügig vertreten sind. Eine Spiegelbildlichkeit erfordert das Demokratieprinzip jedenfalls nicht.

 

II. Politische Bewertung

So wichtig es auch ist die Verfassungswidrigkeit der thüringischen Paritätsgesetzgebung anzumahnen; ausruhen sollte man sich auf dieser Entscheidung nicht. Rechtsetzung und Rechtsauslegung sind dem gesellschaftlichen Wandel an Wertevorstellungen unterworfen. Dass Verfassungsgerichte in zehn Jahren anderer Ansicht sein könnten, hat sich mehrfach bestätigt. Auch eine Grundgesetzänderung wie in Frankreich wäre ein denkbarer Weg. Die Frage um die Einführung eines Paritätsgesetzes bedarf insofern einer politischen Auseinandersetzung. Überraschend ist hierbei, wie wenig alternative Vorschläge akzeptiert werden.

 

1. Direktmandate

Denn wer wirklich etwas an der Geschlechterverteilung unter den Abgeordneten verändern will, ändert etwas an den Wahlkreisen. Von den 246 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion sind 231 über den Wahlkreis und 15 über die Landeslisten in den Bundestag eingezogen. Während die Listen einen Frauenanteil von 39, 8% (CDU, bei 26, 5% Frauen in der Partei) bzw. 27% (CSU, bei 20% Frauen in der Partei) aufweisen konnten, beträgt der Frauenanteil in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion 20, 7%. Dieser Unterschied überrascht im Vergleich zu dem Frauenanteil auf der Landesliste bei nur 6% Listenmandaten und bei ursprünglich 188 direkt gewählten männlichen Abgeordneten nicht. Bei der SPD sieht es ähnlich, aber nicht ganz so drastisch aus. Nur 15 Frauen, aber 44 Männer wurden 2017 direkt gewählt. Die 49 Frauen, die ursprünglich über die paritätisch besetzten Landeslisten einzogen, konnten das bei 45 männlichen Listenmandaten nicht ausgleichen. Wären die Direktmandate der beiden „Volks“-Parteien geschlechtergerecht aufgeteilt gewesen, würden 87 Frauen mehr im Bundestag sitzen. Damit läge der Frauenanteil nicht bei 30, 7% sondern bei 43%. Wird die Liste der CDU/CSU-Fraktion nun paritätisch besetzt (die SPD-Listen waren es schon) und die Direktmandate beibehalten, wären wir 2017 um 1,5 weibliche CDU/CSU-Abgeordnete bereichert worden. Gemeinsam mit paritätisch besetzten Listen aller anderen Parteien würde das zu 59 mehr Frauen im Bundestag führen. Der Frauenanteil läge dann nur bei 39,5%. In Niedersachsen stellt sich die Situation durch die vollständige Besetzung der SPD-Fraktion aus Direktmandaten und einen noch eklatanteren Männerüberhang der CDU-Direktmandate noch deutlicher dar: Paritätisch besetzte Listen aller Parteien würden den Frauenanteil nur um 6 Frauen anheben. Das bedeutet einen Anstieg von 28, 47% auf 32, 85%. Bei gleichermaßen verteilten Direktmandaten steigt der Frauenanteil (ohne paritätische Liste) mit 22 Frauen mehr auf 44, 5% an. Die derzeitige Ausgestaltung des Paritätsgesetzes nimmt also bei geringeren Erfolgszahlen ausschließlich kleine Parteien mit geringer Chance auf Direktmandate in die Verantwortung. Wieso also nicht auf die großen, mitgliederstarken Parteien schießen und schneller zum Erfolg kommen? Konkret würde das mit einer Halbierung/Vergrößerung der Wahlkreise mit Besetzung einer Doppelspitze funktionieren. Mit der Erststimme würde dann ein Team aus Mann/Frau, Frau/Divers, Mann/Divers gewählt werden. Da weiterhin zwei Personen auf zwei ehemalige Wahlkreise treffen, würde sich auch der Vertretungsschlüssel nicht zuungunsten des regionalen Kontakts verschlechtern. Das bringt den weiteren Vorteil mit sich, dass alle Geschlechter im Wahlkampf sichtbar werden und dadurch auf lange Sicht von einer Vorbildwirkung profitiert werden kann.

Ein Ansetzen bei den Wahlkreisen wurde in Brandenburg dennoch als zu heikel bewertet. Ist die Erhöhung des Frauenanteils in den Parlamenten durch andere Regelungen als die eigene quotierte Liste also doch zu revolutionär? Neben der ebenfalls getätigten Äußerung man wisse um die Kritik, hoffe aber, dass das Verfassungsgericht alternative Gesetzesvorschläge mache, offenbart das ein fragwürdiges Rechts- und Politikverständnis. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts auf Abruf einer bewusst leichtfertigen „Wer-nicht-wagt-der-nicht-gewinnt“-Einstellung Auskunft zu erteilen und darüber hinaus auch noch Ideen für verfassungskonforme Alternativen aufzulisten. Das ist im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens Aufgabe des Justizministeriums oder des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes, dessen Mahnungen in Brandenburg gekonnt ignoriert worden sind.

Politisch wird es sich hier sehr einfach gemacht: Die eigenen bekannten und bewährten Satzungsregelungen einiger Parteien sollen nun verfassungswidrig alle Parteien binden. Andere Wege zum Ziel gibt es nicht.

 

2. Unterlisten

Dabei sind nicht nur Doppelspitzen in den Wahlkreisen ein gangbarer Weg. Ein den Grundsatz der Freiheit der Wahl noch wahrender Vorschlag ist die Einführung von Unterlisten. Jede Partei könnte freiwillig zu ihrem Wahlvorschlag beliebig oder begrenzt viele Unterlisten bestehend aus einzelnen Gruppierungen hinzufügen, bspw. mit Jugend-, Senioren-, Frauen-, Männer-, Trans- oder nichtakademischen Personen. Gewählt werden kann entweder die Vorschlagsliste der Partei oder die Unterlisten, die ebenso als Stimme der Partei zählen würden. Die gewählten Personen der Unterliste würden auf der Hauptliste dadurch nach oben rutschen können. Wie viele Frauen davon tatsächlich profitieren, läge in der Hand von Wählerin und Wähler – wenn man hinter dem Konzept der Identitätspolitik steht, auch eine demokratisch vertretbare Lösung. Oder?

 

3. Parteien als Filter

Verkannt werden darf in der ganzen Diskussion nicht, dass die Parteien mit ihrer Listenaufstellung bereits jetzt eine Filterfunktion erfüllen. Jede Partei außer die AfD hatte 2017 mehr Frauen auf aussichtsreichen Listenplätzen als sie weibliche Mitglieder hat. Das ist auch der Anerkennung unterschiedlicher sozialer Perspektiven unter Männern und Frauen sowie den besseren Arbeitsstrukturen in diversen Teams geschuldet. Dass nicht noch mehr Frauen sichtbar werden, zeigt das eigentliche Problem auf: der Frauenanteil in den Parteien, der in keiner deutschen Partei bei 50% liegt. Parteiarbeit ist für Frauen immer noch unattraktiver als für Männer; die ursprünglich männlichen Zusammenschlüsse wirken nach. Dass der langatmige Weg diese zu durchbrechen zu Quoten einlädt, ist aus illiberaler Perspektive nachvollziehbar. Das Ignorieren eines angemahnten Verfassungsverstoßes wegen wesentlicher demokratischer Grundzüge, ist es nicht. Wenn man sich hinter das Konzept der Identitätspolitik stellen und die Anzahl von Frauen in den Parlamenten auf 50% erhöhen möchte – und die politische Haltung dazu bleibt an dieser Stelle allen Leserinnen und Lesern selbst überlassen – dann gibt es jedenfalls andere Wege.

Niedersachsen braucht ein landesweites Azubi-Ticket

Wirtschafts- und Verkehrsminister Bernd Althusmann hat Anfang des Jahres verkündet noch im ersten Halbjahr ein Konzept für ein landesweites Azubi-Ticket vorzulegen. Die Corona-Pandemie hat alles durcheinander gebracht, weshalb es bisher kein Konzept gibt. Das Aktionsbündnis Niedersachsen „Azubi-Ticket JETZT!“ bestehend aus DGB-Jugend, Jusos, Junger Union, Grüner Jugend und Jungen Liberalen fordert jetzt –kurz vor den ersten Haushaltsverhandlungen für 2021- mit einem offenen Brief ein Konzept und Budget für das Azubi-Ticket ein.

 

Offener Brief Azubi Ticket

Juni 2020: Männerwelten

Fünf Männer sitzen eng beieinander um einen runden Tisch gedrängt. Der Tisch quillt mit Gesetzestexten über. Die Diskussion ist hitzig.

M1: Artikel 3 des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilha-…

M2: Ich will Zwei.

M3: Und wer geht?

M1: Artikel 2 des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männ-…

M4: Ich will Eine.

M3: Und wer geht?

M1: Artikel 1 des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Priv-…

M5: Null.

M3: Und wer kommt?

M5: Null.

M3: Gut. Lies mal vor, was wir haben.

Der Vorhang geht zu. Bierflaschen werden geöffnet. Anstoßen und ein Rülpser. M1 spricht aus dem Off.

M1: Nach dem Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst setzen wir uns das Ziel null Frauen in den Vorstand zu befördern. Im Vorstand ist kein Platz für eine weitere Person. Darüber hinaus hält es der Aufsichtsrat nicht für im Interesse der Gesellschaft höhere Zielgrößen für den Frauenanteil im Vorstand festzulegen. Daher ist die Zielgröße für den Frauenanteil im Vorstand weiterhin null.

__________

 

Die vorletzten Sätze finden wir im Geschäftsbericht eines DAX-Konzerns. Den Vor-vorletzten so ähnlich in einigen anderen Begründungen zur Mitteilungspflicht einer Zielgröße an Frauen im Vorstand. Nach Recherchen der Allbright-Stiftung haben sich 53 von 160 Unternehmen die Zielgröße von null Frauen im Vorstand gesetzt. Solche Zielsetzungen werfen auf die Diskussion um die gläserne Decke ein anderes Licht. Wenn diese 53 Unternehmen ausdrücklich erklären in den nächsten Jahren keine Frauen in den Vorstand aufnehmen zu wollen, wie kann eine Frau einen Vorstandsposten erreichen? Liegt es an der gesetzlichen Pflicht, dass sich ein Drittel der Unternehmen absichtlich das niedrigste Ziel setzt oder macht das Gesetz erst eine Undurchlässigkeit sichtbar? So oder so meinten Frau Lambrecht (BMJV) und Frau Giffey (BMFSFJ) in diesem Monat mehrere Verschärfungsoptionen androhen zu müssen, die leider mehr als den überlangen Namen des Gesetzes betreffen. Eine Ausweitung auf alle paritätisch mitbestimmten Unternehmen, eine verbindliche Quote für die Vorstandsebenen und Bußgelder im Falle einer Nichtbefolgung stehen auf der Liste der Ministerinnen. Unberücksichtigt bleiben bei der Bewertung der Unternehmen dabei die Zahlen für die zwei Führungsebenen unter dem Vorstand. Deren Erfolgszahlen sind deutlich vielversprechender und würden in Zukunft für einen Vorstandsposten qualifizieren. Rund ein Drittel der MDAX- und DAX-Unternehmen setzen sich für die erste Führungsebene die Zielgröße von 30%, dieselbe Zielgröße wird für die zweite Führungsebene von 47% der MDAX und 41% der DAX-Unternehmen angepeilt. Das spricht dafür, dass die Unternehmen ihre Personalplanung sehr genau im Blick haben und in einem realistischen Tempo für mehr Diversität in den Führungsebenen hinarbeiten. Eine Quotierung auf Vorstandsebene – ohnehin die große Rüge nach nur fünf Jahren Zielsetzungen – würde diese eigene Personalplanung konterkarieren. Grund für diesen Anstieg an Frauen in Führungspositionen ist dabei nicht (nur) die gesetzliche Aufforderung zum Setzen einer Zielgröße, sondern – wenn man so will – der Markt. So sind die ESG-Kriterien (Environment, Social, Government) für Investorinnen und Investoren stärker ins Blickfeld geraten; vielleicht hat auch die Erkenntnis Einzug erhalten, dass die Arbeit und die Kommunikationsstrukturen in divers strukturierten Teams regelmäßig effektiver sind. Oder Frauen in Führungspositionen doch von gesellschaftlichem Interesse sein können.

 

Frauenwelten

Wie das sein kann, zeigt derzeit das Black-Lives-Matter Movement. Von drei Frauen in den USA gegründet, treten auch in der deutschen Öffentlichkeit ungewöhnlich viele weibliche Vorbilder hervor. Während in Corona-Fragen bei 47% Ärztinnen nur 22% weibliche Expertinnen zu medizinischen Fragestellungen interviewt werden, kamen in dem ARD-„Brennpunkt“ zu Rassismus der Carolin-Kebekus-Show zehn Frauen und sieben Männer über ihre Rassismuserfahrungen zur Sprache. Weibliche Vorbilder wie Harriet Tubman, bekannteste afroafrikanische Fluchthelferin ab 1849 und spätere Aktivistin der Frauenrechtsbewegung, Claudette Colvin und Rosa Parks, deren Weigerungen ihren Sitzplatz abzugeben als Auslöser der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren gelten, Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera, die als Transwomen of Color mit ihrer Wehrhaftigkeit den Startschuss zu den Stonewall-Unruhen gaben, werden immer wieder in den Vordergrund gerückt. Das Hashtag #sayhername als Vorläufer von #saytheirnames schlug Wellen, um auch für den Fall von Breonna Taylor rechtsstaatliche Konsequenzen einzufordern.

Hintergrund von all dem ist das Bekenntnis der Bewegung zur Bekämpfung von Intersektionalität. Die Relevanz von Intersektionalität, also das Zusammentreffen mehrerer Diskriminierungsmotive, ist mittlerweile ganz überwiegend bei allen Antidiskriminierungsbewegungen angekommen. Durch die Liberalisierung der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten war ein Austausch und eine Verbindung der Aktivistinnen und Aktivisten möglich. Die frühere Paarung von Rassismus neben Feminismus oder Antirassismus neben Sexismus wird heute immer häufiger von der Erkenntnis überholt, dass alle Arten von Diskriminierung ähnlichen Strukturen folgen – Diskriminierung der gemeinsame Nenner und gemeinsame Gegner ist. Das gilt nicht nur für ein Zusammentreffen von weiblich + PoC, sondern auch von männlich + PoC.

 

Letzteres wurde im Fall von Amy Cooper deutlich. „Ich bin im Central Park und hier ist ein Mann, afroamerikanisch, der mich filmt und mich und meinen Hund bedroht.“ Amy Cooper wusste, was sie tut. Sie hatte keine Lust auf ihr eigenes ordnungswidriges Verhalten hingewiesen zu werden und rief die Polizei. Sie wollte den Mann schnellstmöglich loswerden und begann ein Spiel mit Verletzlichkeiten: Seiner Identität als BPoC und seiner Identität als Mann. Ihre eigene potentielle Fragilität – die, der vermeintlich bedrohten Frau – machte sie sich zu eigen. Dieser unüberlegte Kurzschluss ist Ausdruck vorgefertigter Stereotypen mit jeweils zwei Seiten einer Medaille. Der starke Mann ist gleichzeitig auch der gefährliche Kriminelle mit einem unvorhersehbaren Aggressionspotential. Die schwache Frau ist das vertrauenswürdige Opfer männlicher Übermacht. Und mit einer großen Prise Rassismus wird der Schwarze Mann unberechenbarer als der weiße und die weiße Frau schutzwürdiger als „die Anderen“. Dass die Kriminalitätsstatistik tatsächlich mehr männliche Täter und mehr weibliche Opfer sexualisierter Gewalt erfasst, ändert nichts daran, dass der Großteil an Männern nicht kriminell ist. Oder an der Frage, wie viel männliche Kriminalität auf eine gesellschaftlich anerzogene Kanalisation von Emotionen zurückzuführen ist.

Alleine in diesem Jahr wurden in den USA 415 Männer und 13 Frauen von der Polizei erschossen. Nach einer repräsentativen Studie der europäischen Grundrechteagentur gaben 14% der Schwarzen Menschen in Deutschland an, in den letzten fünf Jahren racial profiling durch die Polizei erlebt zu haben. Die meisten davon Männer. Dass mehr Männer als Frauen betroffen sind, eröffnet eine intersektionelle Dimension: Ein mit Rassismus kumulierender Sexismus schreibt deutschen Black Men of Color ein höheres Kriminalitätspotential zu als einem weißen Mann oder einer Schwarzen Frau.

 

Transwelten

Die feministischen Bewegungen sind durchwachsener und können sich nicht so eindeutig zur Intersektionalität bekennen, wie es die BLM-Organisation tut. Neben liberalen, sozialen oder linksradikalen Stimmen ist der Feminismus nicht frei von Rassismus, Homophobie oder Transfeindlichkeit und muss sich mit der eigenen Geschichte und aktuellen Praxis kritisch auseinandersetzen. Jüngster Fall war in diesem Monat die Twitter-Äußerung von J.K.Rowling und die darauffolgende Diskussion um Terfs (Trans-exclusionary radical feminist). Im Sinne eines radikalen Feminismus versteht diese Minderheit den Feminismus ausschließlich als Kampf um Rechte für cis-Frauen. J.K. Rowling wurde nach ihrer Äußerung und einer intensiven medialen Debatte pauschal dieser Gruppierung zugeordnet. In der Tat bewegt sie sich auf dem schmalen Grad die unterschiedlichen Sexismuserfahrungen von cis-Frauen und Trans-Frauen nicht zu verwischen und dabei gleichzeitig Trans-Frauen nicht das Frausein abzusprechen. Ganz in der Nähe der Annahme, cis-Frauen müssten besonders vor Trans-Frauen geschützt werden, bewegte sich diesen Monat auch der konservative Feminismus in den UK. Laut einem der Sunday Times vorliegenden Dokument will die britische Regierung bald besondere Schutzmaßnahmen auf Frauentoiletten für cis-Frauen vor Transfrauen vorstellen. Alternativ könnte die seit zehn Jahren bestehende liberal-feministische und transfreundliche Gesetzeslage einfach beibehalten werden: Auf ausdrücklichen Widerspruch von cis-Frauen mit sexualisierter Gewalterfahrung können Transfrauen kurzweilig daran gehindert werden gleichzeitig die Toilette zu nutzen.

Was liberaler Feminismus auch bedeuten kann, zeigte Anfang Juni die Berliner Abgeordnete Maren Jaspar-Winter (FDP) mit ihrem erfolgreichen Antrag zur Erweiterung des Landesgleichstellungsgesetzes um Richterinnen und Richter. Voran kommt auch die Forderung des letzten Blogs die sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt im syrischen Bürgerkrieg rechtsstaatlich zu verfolgen. Jedenfalls hat das European Center for Constitutional und Human Rights beim Generalbundesanwalt eine Strafanzeige gegen neun syrische Funktionäre eingereicht, mit dem Ziel die systematische, institutionelle Begehung von Sexualverbrechen rechtlich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzuordnen. Und auch das Bundesverfassungsgericht war wieder einmal das Aushängeschild von Gleichberechtigung und Rechtsstaatlichkeit, als es urteilte, dass das uneheliche Kind eines von den Nationalsozialisten verfolgten Juden sich auch auf die deutsche Staatsangehörigkeit seines Vaters berufen können müsse. Die vorherigen Instanzen hatten aufgrund der Unehelichkeit alleine die US-amerikanische Staatsangehörigkeit der Mutter für relevant gehalten.

 

 

Junge Liberale Niedersachsen fordern die Streichung des Begriffes „Rasse“ aus dem Grundgesetz

Die Jungen Liberalen Niedersachsen fordern die Streichung des Begriffes „Rasse“ aus Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes sowie aus dem gleichlautenden Art. 3 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung. Darin heißt es, dass niemand wegen seiner Rasse benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe. Dies steht seit 1949 im Grundgesetz und sollte den Rassentheorien der Nazis entgegenstehen.

„Unser Grundgesetz und die Niedersächsische Verfassung dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass Menschen in Rassen einteilbar wären. Diese Ansicht war noch nie haltbar und spaltet auch heute noch Gesellschaften“, so der Landesvorsitzende des FDP-Jugendverbandes Lars Alt.

„Sprache prägt Denken. Rassismus lässt sich nicht bekämpfen, wenn selbst unsere Verfassung den Rassebegriff beibehält. Einige europäische Länder wie Frankreich und Finnland haben den Begriff inzwischen komplett aus ihren nationalen Gesetzen verbannt. Das Land Brandenburg spricht in seiner Verfassung von Diskriminierung aus rassistischen Gründen; das Land Thüringen von Diskriminierung aufgrund ethnischer Zugehörigkeit, um Rassimus juristisch zu fassen. Die Streichung des Begriffes darf nämlich nicht zur Schutzlosigkeit bei rassistisch begründeten Ungleichbehandlungen führen. Die Bundesebene und Niedersachsen sollten sich daran und an den europäischen Kolleginnen und Kollegen ein Beispiel nehmen“, erklärt Alt, der auch Mitglied im Landesvorstand der FDP Niedersachsen ist.

Lars Alt bleibt Landesvorsitzender der Jungen Liberalen

Am Wochenende vom 07. und 08. März haben die Jungen Liberalen Niedersachsen in Lingen einen neuen Landesvorstand gewählt. Der bisherige Vorsitzende Lars Alt wurde von den 150 Delegierten mit 98 % der Stimmen erneut im Amt bestätigt. Er ist mit fünf Amtszeiten der dienstälteste Landesvorsitzende der Jungen Liberalen in Deutschland. Alt, der die Ministerpräsidentenwahl von Thomas Kemmerich als erster FDP-Funktionsträger scharf kritisierte und nach der vergangenen Landtagswahl für eine Ampel-Koalition warb, wird dem sozialliberalen Flügel Partei zugerechnet. Zu stellvertretenden Vorsitzenden wurden Fabio Plogmann (Landkreis Osnabrück), Nadin Zaya (Hannover), Oliver Lahrmann (Oldenburg) und Max Weitemeier (Wolfenbüttel) gewählt. Als Beisitzer komplettieren Thomas Gissel (Göttingen), Claas Jaeckel (Hannover), Helge Gülzau (Hannover) und Björn Jansen (Landkreis Osnabrück) den Vorstand.

Lars Alt machte in seiner Kongressrede deutlich, dass die Freien Demokraten im Jahr 2020 eine Kurskorrektur brauchen: „Die FDP kann nicht auf der einen Seite die progressiven Menschen der politischen Mitte ansprechen und gleichzeitig empfänglich sein für die unreflektierten Schenkelklopfer gegen einen vermeintlichen linksgrün-versifften Mainstream. Die FDP der 2020er Jahre darf kein exklusives Luxusgut für die Starken dieser Gesellschaft sein. Die Programmatik der FDP muss sich im kommenden Jahrzehnt deutlich stärker den Benachteiligten in unserer Gesellschaft zuwenden.“

Und mit Blick auf die Ereignisse in Thüringen erklärte Lars Alt, der auch Mitglied des FDP-Landesvorstandes ist: „Rechtspopulisten begegnet man als aufrechter Freier Demokrat nur durch harte Abgrenzung und nicht durch thematische Annäherung. Wir dürfen den Kampf gegen Rechts zukünftig nicht nur der politischen Linken überlassen.“

Mai 2020: …und sie dreht sich doch

Das Zweifeln an wissenschaftlichen Erkenntnissen ist mal wieder schwer in Mode. Schon Galileo Galilei musste am eigenen Leib erfahren, dass Menschen nur an das glauben, was sie selbst sehen können. Und ebenso wie die Erde sich nicht dreht, weil wir doch ansonsten alle Schwindelanfälle bekommen müssten, kann auch kein bösartiges Virus existieren, dessen Virionen unsere Augen nicht erfassen. Die Anzahl an Corona-Demos hat sich diesen Monat derart zugespitzt, dass man nur noch auf den Inquisitionsprozess von kritischen Bürgern mit Mistgabeln und „Wir sind das Volk“-Plakaten wartet, der Prof. Drosten zu einer Revision seiner Aussagen zwingen will. „Und es existiert doch“ soll er am Ende gemurmelt haben.

Feministische Argumentationslinien haben ein ganz ähnliches Problem: Wer die Feinheiten sexistischer Strukturen nicht bewusst selbst erlebt oder aufmerksam beobachtet, sieht sie nicht. Statistiken? Falsch berechnet. Erfahrungsberichte? Einzelfälle. Presseschau? Verzerrt, Geframt, Grünversifft. Patriarchale Strukturen? Existieren schon längst nicht mehr.

 

Zufälligerweise bringt ebenjene, von selbsternannten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern angezweifelte Pandemie ein ganz anderes Bild zu Tage. Nachdem das staatliche Angebot der Kinderbetreuung wegbrach, reduzierte jede vierte Frau und jeder sechste Mann die Arbeitszeit. Nach einer neuen Studie des Wirtschafts- und Sozialpolitischen Instituts übernehmen 54% der Frauen und 12% der Männer in der Krise den überwiegenden Teil der Kinderbetreuung. Rund ein Drittel der Paare teilt sich die Kinderbetreuung gleichermaßen auf.

Trotz der Dauerbelastung zwischen Home-Schooling und Home-Office, fährt der Schulbetrieb nur sehr langsam wieder hoch. Die Krippen und Kindergärten befinden sich noch immer in der Notbetreuung. Die Stadt Hannover geht davon aus, dass das ganze Jahr 2020 kein Regelbetrieb mehr aufgenommen werden kann. Dass es anders geht, macht Dänemark seit Mitte April vor. Dort umfassten die ersten Lockerungsmaßnahmen das Betreuungs- und Bildungsangebot für Kinder. Zwar fordert auch unsere zuständige Ministerin, Franziska Giffey, gebetsmühlenartig einen Zeitplan für Kita-Öffnungen. Auch die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin hat diesen Monat ein Papier veröffentlicht, was eindrücklich nach Lockerungen für Kinder schreit. Neben zwei optimistisch stimmenden Studien zur Krankheitserregerträgerschaft von Kindern aus Island und den Niederlanden und deutschen Studien zu Frauen in der Corona-Krise vom Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung oder dem Wirtschafts- und Sozialpolitischen Institut drängt sich der Handlungsbedarf nahezu auf. Politische Priorität haben die Karrieren der Mütter oder die Psyche der Kinder gleichwohl nicht – da konnten Baumärkte, Autohäuser & Co anscheinend auf stärkere Fürsprecherinnen und Fürsprecher vertrauen. Die einzige Lobby, die für Frauen und Kinder langsam mit den Füßen zu scharren beginnt, sind die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber der Home-Office-Home-Schooling-Mums, die die ständigen Ausfälle wirtschaftlich langsam nicht mehr tolerieren können.

 

Der schnelle Rückfall in traditionelle Eltern- und Partnerschaftsmuster zeigt, wie sehr das Konzept der gleichberechtigten Elternschaft auf hölzernen Füßen steht. Die individuelle Lebensgestaltung der Paare mag eine nachvollziehbare (finanzielle) Überlebensstrategie in der Krise sein. Frei ist die Entscheidung nicht. Über unser Selbstverständnis und das politische Anreizsystem sagt es viel aus, dass in Deutschland Paare ohne staatliches Unterstützungsangebot eher auf das Einverdienermodell, statt auf ein gleichermaßen reduziertes Zweiverdienermodell setzen. Hinzu kommt, dass auch entgeltliche Care-Work immer noch Frauensache ist. Ehemalige Aufgaben einer Hausfrau sind in überwiegend unterbezahlten Berufen ausgelagert, die wiederum mindestens auf einen Frauenanteil von 80% kommen. Kindergärtnerinnen, Grundschullehrerinnen, die Putzkräfte, Krankenschwestern oder Altenpflegerinnen halten anderen Frauen gewissermaßen den Rücken frei, damit diese nicht zwischen Familie und beruflicher Selbstverwirklichung wählen müssen. Care-Work wird immer noch ganz überwiegend von Frauen bewältigt – ob in Teilzeit zuhause, mit geringer Bezahlung im Job oder eben im Krisenzustand.

 

Patriarchale Strukturen? Und sie existieren doch.

 

Judikative

Genauso wie die Welt sich dreht. Auch die Feministische. In Thüringen hatte der Verfassungsgerichtshof den Fall einer Landtagsabgeordneten vorliegen, die ihr Baby mit in den Plenarsaal genommen hatte und prompt von der Sitzung ausgeschlossen worden ist.  Die Richterinnen und Richter schlugen erfolgreich einen Vergleich vor, der ein Mitnahmerecht für Kinder bis zu einem Jahr regelt. Eine Ausnahme besteht bei übermäßiger Störung durch das Kind.

Das Bundesverfassungsgericht hatte zur gleichen Zeit einen komplizierteren Fall mittelbarer Benachteiligung auf dem Tisch liegen: Schon länger sträubten sich Frauenverbände gegen §17 des Versorgungsausgleichsgesetzes. Konkret geht es um die Betriebsrente, für die in Scheidungsverfahren eine Ausnahme zu der üblichen Aufteilung der Rentenansprüche besteht. Danach können Rentenansprüche an einen anderen Versorgungsträger übertragen werden. Wegen der fallenden Zinsentwicklung entstehen dabei Transferverluste, der Ausgleichsanspruch des Teils mit dem geringeren Einkommen (in der Regel die Ehefrau) verringert sich. Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese faktische Reduzierung zwar als verfassungsgemäß, will die Transferverluste aber auf 10% begrenzt wissen.

 

Legislative

Neben der Judikative wurden auch Teile der Legislative in eigener Sache aktiv. Die durch die Corona-Krise befeuerte Frage nach der (Wieder-)Kriminalisierung von Prostitution spitzt sich weiter zu. 16 Bundestagsabgeordnete von Union und SPD fordern nun die Einführung des sogenannten Nordischen Modells, nach dem Sexarbeit verboten wird, aber jedenfalls für die Prostituierte sanktionslos bleibt. Das Papier prangert die aktuellen Zustände als „menschenunwürdig, zerstörerisch und frauenfeindlich“ an. Damit trifft es durch die wachsenden kriminellen Strukturen in der Szene, konkret den ansteigenden Zahlen an Zwangsprostitution und Menschenhandel, einen wesentlichen Punkt. Es verkennt dennoch, dass mit einer Kriminalisierung der Sexarbeit, die ohnehin schon straffälligen Zuhälter die aufgebauten Strukturen wahrscheinlich weiter nutzen werden – und das noch mehr als jetzt im Untergrund.

Derweil hat die FDP-Fraktionsvorsitzendenkonferenz einen Beschluss zur krisenfesten Aufstellung der Infrastruktur der Frauenhilfe in Deutschland gefasst. Das Papier beinhaltet unter anderem die Einführung eines länderübergreifenden Online-Registers für freie Frauenhausplätze, eine Erweiterung der Förderrichtlinien, den Einsatz von Hilftelefonen in Supermärkten, eine Hotline für Täterinnen und Täter und den Ausbau der Online-Beratung.

 

Die vierte Gewalt

Auch wenn der Beschluss medial keine Beachtung fand, brachte die vierte Gewalt sexualisierte Gewalt gegen Frauen eigenständig auf die Tagesordnung. Durch die Republik ging der fünfzehnminütige Beitrag „Männerwelten“ von Sophie Passmann auf dem Sendeplatz von Joko & Klaas bei ProSieben. Das düstere Video stellt Fallbeispiele sexualisierter Alltagsgewalt gegen Frauen dar und will vor allem männliche Zuschauer sensibilisieren. Vieles daran wurde auch aus feministischer Ecke kritisiert, maßgeblich aber bleibt: Die Primetime auf ProSieben sowie die vielfältige Verbreitung in den sozialen Medien dürfte die Zielgruppe erreicht und eventuell zum Nachdenken angeregt haben. Genau das ist ein Einfallstor für den liberalen Feminismus. Geht es um Alltagsdiskriminierungen bedarf es einer breiten gesellschaftlichen Wachsamkeit und Reflektionsfähigkeit. Dafür braucht es keine Strafschärfungen nach der Kölner Silvesternacht bei der die Gefahr zu vermeintlich „frauenfeindlichen Fremdlingen“ abgeschoben wird. Wir benötigen eine Diskussion über und die Sichtbarkeit von sexistischen Mustern, die jede und jeder von uns mal mehr oder weniger stark auslebt. Die Verantwortung hierfür trägt jedes einzelne Individuum in seinem Umfeld, die Gesellschaft als Ganzes, aber auch die Medien, die durch ihre Reichweite Denkanstöße geben können.

 

Wer nun die Hoffnung wagt, dass von nun an zumindest ProSieben ihren Einfluss auf die Gesellschaft verantwortungsbewusst wahrnimmt, wird leider schwer enttäuscht: auf dem Streamingdienst „Joyn“ startete diesen Monat die neue Datingshow „M.O.M: Milf or Missy“, die mit großen Plakatierungen in der Öffentlichkeit und Werbeschaltungen in den sozialen Medien stark beworben wird. Gesucht wird mal wieder der Traummann oder die Traumfrau. Zur Verfügung steht ein 57-Jähriger „Senior, der sich jeden Luxus leisten kann“ und ein 28-Jähriger „Junior“, der als Fitness-Trainer arbeitet. Auf der Seite der Traumfrauen stehen entweder die jungen Missys oder die „alten Milfs“, wobei die älteste Frau uralte 46 Jahre zählt. Natürlich sind es auch deutlich mehr Frauen, die im die Gunst zweier Männer buhlen. Im Übrigen sind auch nicht alle „Milfs“ Mütter. Das tut aber weiterhin nichts zur Sache, da sie „die restlichen Anforderungen an das Wort (…) perfekt [erfüllen]“. Mal sind sie die „Frauen vom“ Senior und mal die „Frauen vom“ Junior – das Tagesprogramm bestimmt ihr jeweiliger Gruppenführer. Zuletzt hat „Junior Marco“ mit „seinen“ Frauen ein Fitnesstraining am Strand durchgeführt, wobei sein Job natürlich darin bestand weiblichen Körper in die richtigen Positionen zu grapschen. Wer nach dem Bachelor schon dachte es ginge nicht mehr schlimmer, hat hier ein Programm mit „zwei Alphamännchen auf dem Weg zu den weiblichen Hyänen“, Hahnenkämpfen, Zickenkrieg und sexueller Anbiederung gefunden.

 

Das echte Unterhaltungsprogramm

Für Spannung und Unterhaltung empfehle ich viel eher den US-amerikanischen Wahlkampf zwischen unserem 73-jährigen Super-Egomanen und unserem 78-jährigen Polit-Urgestein. Letzter will im Falle seiner Wahl für die nächste Personalfrage am Supreme Court eine Frau nominieren. Dass er überhaupt zum Zug kommt, ist vor allem aufgrund der konservativen Überhand im Supreme Court wichtig. Die 86-Jährige Ruth Bader Ginsburg, Anführerin des liberalen Flügels im Gericht und feministische Ikone, wurde diesen Monat ins Krankenhaus eingewiesen und kämpft von dort aus unermüdlich für die Hearings im Juni zur vermeintlichen Verfassungswidrigkeit des Abtreibungsrechts in den USA.

Für das Amt, was er sicher vergeben darf, versprach er schon jetzt eine Frau: Seine Vizepräsidentin wird weiblich. Mit Blick auf sein Alter plant er selbst maximal (wenn überhaupt) eine Amtszeit ein. Entweder bekommt eine Frau in dem Land, in dem nur 52% der Bevölkerung sich bei einer Präsidentin wohl fühlen würden, frühzeitig die Chance das Gegenteil zu beweisen. Oder aber sie kann sich vier Jahre lang als nächste Präsidentschaftskandidatin der Demokratischen Partei profilieren.

Unsere feministische Welt, sie dreht sich doch.