Oktober 2020: Ein Bild von einem Mann

Friedrich Merz bügelt. Er kann Spagetti Frutti di Mare kochen und manchmal kauft er dafür sogar selbst ein. Vielleicht macht er morgens sogar sein Bett und putzt seine Schuhe. Wer weiß das schon. Wir wissen. In einem herzerwärmenden Interview über Liebe, Partnerschaft und Politik gab seine Ehefrau seine hausmännischen Qualitäten preis. Endlich atmen wir erleichtert auf: Dieser Mann kann Kanzler – Ein Bild von einem Mann!

 

Frauen im Wahlkampf

Komisch, dass sich das Bild von einem Mann in der öffentlichen Wahrnehmung so häufig über die Darstellung seiner Frau vervollständigt. Nun funktioniert Wahlkampf im typischen CDU-Wählerinnenmilieu nunmal gut über die „Ehefrau von“ und auch die Klatschspalten brauchen Inhalte, um ihre Seiten zu füllen. Fragwürdig wird es, wenn Zeitschriften mit politischem Profil diese Botschaften aufnehmen und verbreiten. In der US-amerikanischen Medienlandschaft ist das Gang und Gäbe, um den Kandidaten bei der Formung seines politischen Profils zu unterstützen. Ein „Make Amercia sexy again“ passt zu einem pöbelnden, sexistischen Kandidaten ebenso gut, wie die fürsorgliche Landesmutter zu dem Sprössling einer althergebrachten Politikerfamilie. Und es hilft es auch nicht weiter, wenn die Zuschreibung, die der intelligenten Powerfrau neben dem charismatischen Feministen Barack Obama ist. Die Rolle der (Ehe-)Frau bleibt eine Ergänzungsfunktion, die die Authentizität der politischen Positionen des Kandidaten bestärkt und seine Frau auf diese Rolle reduziert. Eine Wiedergabe dieses Geschlechterverständnisses brauchen wir im politischen Medienspektrum in Deutschland nicht.

Wozu das neben der Reproduktion alter Geschlechterrollen noch führen kann, zeigt sich in der jüngsten Aufregung um ein veröffentlichtes Tape von Melania Trump. Darin äußert sie sich immigrantenfeindlich und beschwert sich über die Weihnachtsdekoration des Weißen Hauses, auf die sie überhaupt keine Lust hätte. Bereits vorher gab es einen großen Aufruhr als sie es wagte dem altehrwürdigen Rosengarten der Jaqueline Kennedy durch eine (botanisch notwendige) Umgestaltung seinen Stil zu rauben. Alleine, dass medial eine Diskussion um ihre geringe Beteiligung im Wahlkampf stattfindet; der Vorwurf gemacht wird, sie würde ihren Mann nicht ausreichend unterstützen, lässt das US-amerikanische Demokratieverständnis aufgrund von ehelichen Wunschvorstellungen in einem fragwürdigen Licht darstellen. Verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist dieser Aufruhr um ihre politischen Positionen und ihren Unmut zu repräsentieren nicht. Die amerikanische Verfassung weist der First Lady keine offizielle Rolle zu. Die Erwartungshaltung an Repräsentations- und Dekorationskünste ist rein gesellschaftlicher Natur und es wäre spannend zu erfahren, ob sie in demselben Ausmaß an einen First Gentleman gestellt werden würden. Das stereotypische Bild von einem Mann legt eine negative Vermutung nahe.

Wer wissen will, wie dieser Typus aussieht, kann sich an Melanias Ehemann wenden. Als Risikopatient erkrankte Donald Trump am Coronavirus und wurde zur künstlichen Beatmung kurzerhand ins Krankenhaus eingeliefert. Zwei Tage später zelebrierte er seine wiedererlangte Gesundheit mit einer kurzen Auszeit vom Krankenhaus und winkte gelassen aus seiner Limousine heraus. Fortlaufend wurde betont, dass der Präsident auch aus dem Krankenbett alle Regierungsgeschäfte selbst führen würde. Die Botschaft: Starke Männer sind nicht krank. Nicht einmal, wenn es um ein unerforschtes, tödliches Virus geht.

 

Frauen und das Coronavirus

Diesbezüglich streiten sich im Übrigen weiterhin die Geister, welche Auswirkungen die Pandemie auf das Geschlechterverhältnis haben wird. Nachdem mal karrieretechnische Rückschritte und mal häusliche Fortschritte prognostiziert worden sind, belegt eine Studie der deutsch-schwedischen Allbright-Stiftung nun jedenfalls Rückschritte in den oberen Führungsetagen in Deutschland. Während der Krise sei in konservativer bekannt-und-bewährt-Manier vermehrt auf männliche Teams gesetzt worden, sodass der Frauenanteil bei den DAX-Unternehmen auf den Stand von 2017 gefallen ist. Derweil hielt das konstante Wachstum in Frankreich, Großbritannien, Schweden und in den USA weiter an. Teilweise ist der Frauenanteil dort doppelt so hoch wie in den wichtigsten Unternehmen in Deutschland. Dass in anderen Industrienationen ohne gezielte Frauenförderung oder Quotierungen ein anderes Selbstverständnis als in Deutschland zu herrschen scheint, stimmt nachdenklich. Die stark auseinandergehenden Zahlen weisen auf strukturelle Hindernisse sowohl auf Bewerbungs- als auch auf Einstellungsebene hin. These: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurde in den 2000er Jahren in Deutschland verschlafen, sodass zunächst das Wachstum auf der unteren Führungsebene nachgeholt werden muss. Diese Strukturen sind im bereits seit Jahrzehnten ganztagsbetreuten Frankreich, in den weniger staatsleistungsbezogenen USA oder im feministischen Schweden bereits etabliert und zahlen sich auf eine subtile Art aus. Diese unterschiedlichen Wege können Vorbild sein, um tatsächliche Veränderungen herbeizuführen.

 

Frauen im Recht

Derweil hing Deutschland auch diesen Monat wieder in Scheindiskussionen fest. Zunächst der Vorstoß des Bundesjustizministeriums ein Gesetz im generischen Femininum zu verfassen; Im Anschluss das Urteil des Brandenburgischen Verfassungsgerichtshofs, das wie bereits vorher der Thüringische Verfassungsgerichtshof ein Paritätsgesetz für verfassungswidrig erklärt hat. Die Reaktionen auf beide Vorfälle enttäuschen. Das Gesetz im generischen Femininum wurde vom Bundesinnenministerium auf genauso schrille Art beschimpft, wie es vorgestellt worden ist. Das Urteil des Landesverfassungsgerichts stieß auf taube Ohren: Andere Länder wollen es weiterhin mit Parität versuchen. Mit liberalem Feminismus hat das nichts zu tun. In ersterem Fall fordert er ein wenig mehr Sachlichkeit und in Zweiterem wünscht er sich ein wenig mehr Verfassungstreue.

Ein liberal-feministischer Vorstoß macht demgegenüber in Niedersachsen die Runde. Mit einer neuen Strategie will das Land die Start-Up-Szene verbessert fördern. Das betrifft die Punkte der Gründungsinfrastruktur und den Zugang zum Wagniskapital, die mit einer Förderung von Start-Up-Gründung von Frauen kombiniert werden.

Ganz andere Probleme zeigen sich im Nachbarland Polen auf. Eine vom Verfassungsgericht bestätigte Verschärfung des Abtreibungsrechts führt dort aktuell zu tagelangen, massenhaften Protesten begleitet von medialen Solidaritätsaktionen. „Moja macica nie kaplica“, meine Gebärmutter ist keine Kapelle, lautet der Slogan, der deutlich machen soll, dass die katholische Werteordnung dem Selbstbestimmungsrecht der Einzelnen nicht überwiegen darf. Die Neuerungen sehen vor, dass das ohnehin strenge Abtreibungsrecht nun nicht mehr Fälle starker Fehlbildungen beim Fötus umfasst. Dieser Abtreibungsgrund betraf im Jahr 1074 der 1100 vorgenommenen Abtreibungen. Viele Betroffenen, die es sich leisten können, sind nun noch mehr als ohnehin schon auf das slowakische, litauische oder deutsche Ausland angewiesen. Das Auswärtige Amt schweigt bisher zu den auf Solidarität angewiesenen Massendemonstrationen. Dem Feminismus in Deutschland fehlt die liberale Stimme.